Verrucht

Sie wollte nur noch eine Zigarette. Einen Zug. Einen Schluck Rotwein. Einen letzten Tango. Eine warme Umarmung – voller Sehnsucht – in Hingabe. Sie gab sich hin, dem Rauch und Rausch – der Musik und dem Moment.

Sie war nicht mehr die Jüngste, aber dieses Feuer der Liebe und Leidenschaft brannte in ihr.

Unstillbar lodernd und laut – die Tangomusik übertönte nur kurz ihren Herzschlag, diesem lauten Pulsieren ihres Körpers, der sich im Takt an ihr Gegenüber schmiegte, bereit, zu verschmelzen, sich zu verlieren. Eins zu sein.

La Cortina.

Er sah sie. Sie war etwas älter, sah gut aus. Irgendetwas faszinierte ihn. Vielleicht war es das Leuchten in ihren Augen, das Glühen ihres Körpers. Die Art, wie sie an ihrer Zigarette zog und sich an ihr Glas klammerte. Als wäre es ihre letzte Sekunde, als ob sie sich mit jedem Zug und Schluck ihre eigene Existenz beweisen müsste. Als gelte es, nicht zu verschwinden im Rauch und Nebel, als könne nur der Schmerz und die Schönheit des Jetzt die Zeit anhalten.

Er hielt sie an und holte sie ab, von der Bar, riss sie raus aus ihren Gedanken und Gefühlen, die sich im Spiegel ihrer Seele zwielichtig deuten ließen. Ihre Worte klangen rauchig, verrucht: „Ja, ich tanze mit dir. Aber nur einen Tanz, dann gehe ich!”

Sie atmeten zusammen, sie fügte sich dem Takt und Rhythmus ihres Partners, sie wurden eins mit der Musik. Pause. Sie ging. Er folgte ihr.

Ihr Kleid war kurz, ihre Lippen forderten ihn. Er wusste nicht …

der Moment vergaß die Zeit, die Leidenschaft die Etikette. Sie erhob sich über beide und flog mit Flügeln des Begehrens weit und hoch hinaus. Denn hier oben war sie frei, vereint mit dem Rausch(en) und der Musik in der Luft, die die Kurzlebigkeit des Moments in ihr explodieren ließ.

Sie ging nach Hause, allein, der Wind zerwühlte ihr Haar. Sie war wild, eine Katze in der Nacht, die Liebe und Leidenschaft in ihr waren für den Moment gestillt bis zum nächsten Abend, bis sie wieder eine Zigarette anzündete, auf der Suche nach Erfüllung.